Neuregelung des Wertersatzes bei Widerruf

In Kürze tritt das Gesetz zur Anpassung der Vorschriften über den Wertersatz bei Widerruf von Fernabsatzverträgen und über verbundene Verträge in Kraft, das die bislang für Fernabsatzverträge geltende Regelung des § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB, nach der Verbraucher generell Wertersatz für gezogene Nutzungen leisten müssen, die sie nach der Natur des Erlangten nicht herausgeben können (z.B. gezogene Gebrauchsvorteile), für Fernabsatzverträge über Warenlieferungen eingeschränkt. In Zukunft schuldet der Verbraucher nur Wertersatz für Nutzungen, wenn er die Ware in einer Art und Weise genutzt hat, die über die Prüfung der Eigenschaften und der Funktionsweise hinausgeht, und wenn er vom Unternehmer auf diese Rechtsfolge hingewiesen und über sein Widerrufsrecht belehrt wurde oder von beidem anderweitig Kenntnis erlangt hat.

Hintergrund der Gesetzesänderung ist das Urteil des EuGH vom 3.9.2009 – C-489/07. Der EuGH hat in diesem Vorabentscheidungsersuchen entschieden, dass die Bestimmungen des Artikels 6 Abs.1 S. 2 der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.5.1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der der Verkäufer vom Verbraucher für die Nutzung einer Ware, die im Fernabsatz gekauft wird, bei fristgerechtem Widerruf generell Wertersatz für die Nutzung der Ware verlangen kann. Gleichzeitig hat der EuGH aber auch festgestellt, dass ein Verbraucher zu Wertersatz für die Nutzung verpflichtet werden darf, wenn er die Ware auf eine mit den Grundsätzen des bürgerlichen Rechts – wie denen von Treu und Glauben oder der ungerechtfertigten Bereicherung – unvereinbare Art und Weise benutzt hat. Jedoch dürften die Zielrichtung der Fernabsatzrichtlinie und insbesondere die Wirksamkeit und Effektivität des Widerrufsrechts durch eine solche Regelung nicht beeinträchtigt werden.

Obwohl dies nicht unmittelbar Gegenstand des Urteils des EuGH war, wird der Verbraucher in Zukunft für eine Verschlechterung, die durch die bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme der Sache entstanden ist, ebenfalls nur dann Wertersatz leisten müssen, wenn die Verschlechterung auf einem Umgang mit der Sache beruht, der über die Prüfung der Eigenschaften und der Funktionsweise hinausgeht. Insoweit wird die Regelung des bisherigen § 357 Abs. 3 BGB angepasst.

Entsprechend dieser Änderungen wird auch das Muster für die Widerrufs- und Rückgabebelehrung in den Anlagen 1 und 2 zu Artikel 246 § 2 Abs. 3 S. 1 EGBGB sowie in der Anlage zu Artikel 247 § 6 Absatz 2 und § 12 Absatz 1 EGBGB angepasst. Das Gesetz tritt am Tag nach der (noch ausstehenden) Verkündung in Kraft. Ab diesem Zeitpunkt haben Onlinehänder 3 Monate Zeit, um die Änderungen umzusetzen.

Zu der Frage, wann eine Nutzung vorliegt, die über die Prüfung der Eigenschaften und der Funktionsweise hinausgeht, liefert die Gesetzesbegründung folgende Hinweise:

Bei der Beurteilung, was im Einzelfall vom Tatbestands merkmal der Prüfung der Funktionsweise und der Eigenschaften der Ware umfasst ist, wird man sich in der Praxis da ran orientieren können, was einbVerbraucher beim Testen und Ausprobieren der gleichen Ware in einem Ladengeschäft typischerweise hätte tun können. Dem Verbraucher muss dabei die Möglichkeit eingeräumt werden, die Ware eingehend auf ihre Eigenschaften und ihre Funktionsweise zu untersuchen. Je nach Art der Ware kann hierfür eine Ingebrauchnahme erforderlich sein. Dies kann im Einzelfall dazu führen, dass der Verbraucher für eine Prüfung durch Ingebrauchnahme auch dann keinen Wertersatz leisten muss, wenn die Ware einen nahezu vollständigen Wertverlust erfahren hat – z.B. Durch das Befüllen und Probeliegen eines Wasserbetts (vgl. auch Bundesgerichtshof, Urteil vom 3. November 2010, Az. VIII ZR 337/09). Dem Verbraucher muss es zumindest gestattet sein, dieselben Ergebnisse wie bei einer Prüfung im Ladengeschäft zu erzielen. Der Umstand, dass bei einer Prüfung der Ware zu Hause die im stationären Handel vielfach üblichen Beratungs-, Vergleichs- und Vorführmöglichkeiten fehlen, ist durch angemessene Prüfungsmöglichkeiten zu Hause auszugleichen. Der Verbraucher darf also mit der Ware grundsätzlich so umgehen und sie so ausprobieren, wie er das in einem Geschäft hätte tun dürfen. Nicht umfasst ist jedoch die intensive, nicht zur Prüfung notwendige Nutzung. So darf etwa eine Fotokamera nicht in den Urlaub mitgenommen werden. Ein Kleidungsstück sollte der Verbraucher nur anprobieren, jedoch nicht über eine längere Zeit tragen dürfen. Regelmäßig zulässig dürfte es jedoch sein, wenn der Verbraucher das Kleidungsstück innerhalb der Widerrufsfrist zu Hause mehrfach anprobiert. Gegenstände, bei denen eine Prüfung durch bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme oder ein Öffnen der Verpackung nach der Verkehrssitte nicht üblich ist (z.B. Hygieneartikel, verschweißte Medikamente), sollen weder im Ladengeschäft noch zu Hause auf diese Art und Weise geprüft werden dürfen. Der reine Besitz der Ware kann keine Pflicht zum Wertersatz begründen, da er notwendige Bedingung für die Prüfung der Eigenschaften und der Funktionsweise der Ware ist.

Die Beweislast für die übermäßige Nutzung liegt beim Unternehmer, jedoch kann ihm im Einzelfall mit dem Beweis des ersten Anscheins geholfen werden:

Die Beweislast dafür, dass eine Nutzung im Einzelfall über die Prüfung der Eigenschaften und der Funktionsweise der Ware hinausgeht, trägt der Unternehmer. Für den dazu erforderlichen Nachweis kann dem Unternehmer im Einzelfall der von der Rechtsprechung entwickelte Beweis des ersten Anscheins (Prima-facie-Beweis) zu Gute kommen. Weist die Ware deutliche bzw. erhebliche Gebrauchsspuren auf, spricht die allgemeine Lebenserfahrung dafür, dass dies typische Folge einer intensiven Nutzung und nicht lediglich einer Prüfung ist. Erheblich sein kann aber nicht nur die Intensität der Gebrauchsspuren. Neben anderen Indizien kann unter Umständen auch die Gesamtsituation herangezogen werden. Wird etwa ein Kommunionskleid nach dem Weißen Sonntag zurückgesandt, kann gegebenenfalls auch aus den Umständen geschlossen werden, dass es getragen und nicht nur anprobiert wurde, auch wenn das Kleid keine erheblichen Gebrauchsspuren aufweist. Die Bewertung des jeweiligen Einzelfalls unterliegt der freien richterlichen Beweiswürdigung.